Sonntag, 26. April 2015
Klappe die dritte
Mein Name ist Arite Broda, ich bin 19 Jahre alt und berichte für die SZ von meinem Diakonischen Jahr im Ausland hier in Riga. In meinem letzten Artikel habe ich über die Vorweihnachtszeit in Lettland geschrieben, nun folgt ein Artikel über meine Erfahrungen und Erlebnisse in den letzten Monaten.
„Sitz mal kurz still, ich will dich malen“, so fordert mich ein kleines Mädchen aus dem Kindercenter auf. Ich sitze also ganz still und sie schaut mir ganz tief in die Augen, um dann festzulegen, dass ich grüne Augen habe. Mit Tusche wird mein Profil aufs Papier gebracht und gekonnt malt sie noch ein paar Blumen auf das Blatt, schließlich bin ich ja auf dem Weg nach Hause. „Das bist du im Frühling“ sagt Wlada und überreicht mir stolz ihr Kunstwerk.
Und sie hat völlig recht, denn Riga ist in den letzten Tagen aus seinem Winterschlaf erwacht und die Sonne lacht einem ins Gesicht. Ich erkenne die Stadt wieder, welche mich im September so herzlich empfangen hat. Die Straßen sind voller Touristen und Studenten, in den Bars und Kneipen kommt man sich nicht mehr so verloren vor und die ersten Lokale stellen draußen sogar schon Tische und Bänke auf. Alles in allem kann man sich so richtig wohl fühlen in der Stadt.
Vor ein paar Wochen waren hier in Lettland Frühlingsferien und da haben wir mit unserem Kindercenter jeden Tag ganz tolle Ausflüge unternommen. So waren wir zum Beispiel im Botanischen Garten, auf der Bowlingbahn oder auch im Kino. Für viele Kinder war es das erste Mal, dass sie so etwas gemacht haben, da ihre Familien sich solch einen Luxus nicht leisten können. Es war eine sehr anstrengende Woche aber auch eine Zeit mit wunderschönen Erlebnissen und die Sonne hat die gesamten fünf Tage fleißig gestrahlt.
Nach dieser anstrengenden Woche musste natürlich ein bisschen Erholung her und so habe ich ein paar andere Freiwillige in einer alternativen Schule im Osten Lettlands besucht. Hier durfte ich neue Eindrücke sammeln und hab sogar ein bisschen Heimweh bekommen, da die Schule zwischen Feldern und Wiesen liegt, fast wie Zuhause. Ich konnte seit langer Zeit mal wieder einen wunderschönen Sonnenuntergang sehen, was in Riga so gut wie nie der Fall ist.
Zurück in der Stadt, hatte mich die Arbeit wieder und mir sind einige wirklich lustige Geschichten passiert.
Ich sollte einem kleinen Jungen bei den Mathehausaufgaben helfen und als ich ihm sagte, dass sein Ergebnis bei der einen Aufgabe falsch ist, sagte er mir: „Das glaub ich dir nicht, weil du ja aus Deutschland bist und die rechnen da ganz anders!“ Ich bin wirklich selten sprachlos aber dieser kleine Junge hatte es geschafft. Zugegeben, alle die mich kennen wissen, dass Mathe jetzt nicht unbedingt zu meinen Lieblingsfächern gehört hat aber Grundrechenaufgaben aus der 3. Klasse schaffe ich grade noch so! Ich hab ihm das dann erst auf dem Papier und dann auf meinem Handy vorgerechnet aber da meinte er dann, und ich zitiere: „Ist ja klar, dass das Handy das anzeigt, ist ja auch ein deutsches!“ Was soll man da bitte noch sagen?? Nicht einmal die anderen Mitarbeiter konnten ihn davon überzeugen, dass 57+42 auch in Deutschland und selbst in China, ja auf der ganzen Welt, 99 ergibt. Kinder, also echt die sind immer für eine Überraschung gut.
Auch seine kleine Schwester war unglaublich süß. Ich habe mit ihr gespielt und sie hat die ganze Zeit auf Lettisch erzählt und irgendwann kam eine Frage an mich und da musste ich ihr leider beichten, dass ich nur ein ganz kleines bisschen Lettisch spreche und sie nicht verstanden habe. Da hat sie mich mit großen Kinderaugen angeschaut und ganz ernsthaft gefragt: „Kannst du mich da überhaupt hören?“ Der Vater der Vierjährigen saß neben uns und hat es mir freundlicher Weise übersetzt aber er musste auch lachen. Er hat ihr dann erklärt, dass hören und verstehen was völlig verschiedenes ist. Wir hatten trotzdem eine Menge Spaß und das auch ohne mit einander zu sprechen.
Kinder sind noch nicht so verklemmt und eingeengt in ihrem Sichtfeld, wie die Erwachsenen. Die nehmen dich auch einfach mal an der Hand und zeigen dir, was sie von dir wollen. Ich habe mit den Kindern weniger Kommunikationsprobleme, als mit den Mitarbeitern, von denen auch nur zwei wirklich englisch sprechen und verstehen. Andersherum habe ich auch gelernt, den Kindern einfach zu zeigen, was ich will. Das funktioniert natürlich nicht immer, denn wie wir alle wissen, können Kinder auch unglaublich überzeugend weghören und wegsehen, wenn sie etwas nicht wollen.
Meine Zeit hier in diesem kleinen Land neigt sich nun so langsam dem Ende zu. Im Moment bin ich hin und her gerissen zwischen den ganzen Plänen nach diesem Jahr und dem Aufenthalt jetzt. Das ist nicht ganz einfach zu verstehen, denn ich will ja jeden Augenblick hier genießen und zwar in vollen Zügen. Ich freue mich aber auch schon riesig auf Zuhause und darauf meine Freunde und Familie endlich wieder in den Arm zu nehmen und Geburtstage und andere Feiern wieder live mitzuerleben. Das Internet macht vieles möglich und Skype ist eines der besten Dinge überhaupt, wenn man von seinen Lieben getrennt ist aber es macht auch vieles schwerer. Leider ist die Technik noch nicht soweit, dass man sich mal schnell für ein paar Stunden nach Hause beamen kann, man kann lediglich in die Kamera lächeln und hoffen, dass den anderen die feuchten Augen nicht auffallen.
Trotz allem Heimweh und Ärger, genauso wie die Probleme oder schwachen Momente, welchen man natürlich auch hier hat, bereue ich meine Entscheidung nicht eine Sekunde. Die Zeit hier hat mir so viele schöne Erlebnisse, neue Freunde und tolle Gespräche gebracht, dass man alles andere gerne dafür in Kauf nimmt. Der Mensch wächst ja schließlich an seinen Aufgaben und ich mache heute manche Sachen mit einer Selbstverständlichkeit, die ich noch vor einem Jahr nicht für möglich gehalten hätte. Wer also auch Lust auf ein Abenteuer hat, hier die Adresse der Evangelischen Freiwilligendienst: www.djia.de und noch mehr Berichte über meine Erlebnisse in Lettland unter www.lettlandabenteuer.blogger.de.


Vlada und ich beim Ostereiermalen

Dieser Artikel erschien letzte Woche in der Sächsischen Zeitung. Hier die ungekürzte Fassung ;)



Montag, 9. März 2015
Spontan in eine andere Welt
"Wer sich heute freuen kann, soll nicht bis morgen warten" (Pestalozzi)
Recht hatte er, der liebe Herr Pestalozzi und so habe ich am Donnerstag ganz spontan den Entschluss zu einem Besuch in der Kalna Skola gefasst, wo Hella (auch eine Freiwillige) arbeitet.
Kurz bevor ich am Mittag in den Bus gestiegen bin, habe ich sie angerufen und gefragt ob es ok ist ;)
Sie hat sich gefreut und so ging es auf nach Madona.
Vorab etwas über das Projekt der Kalna Skola. Die Erwachsenen wie auch die Kinder leben dort in einer Art Gemeinschaft, in der jeder seine Aufgaben hat, welche dem Wohle der Geminschaft dient. Geld ist Nebensache und die Lehrer werden mit Naturalien bezahlt. So ganz ohne finanzielle Grundlage kann in der heutigen Zeit jedoch keiner leben und so ist die Schule auf Spenden und das Schulgeld angewiesen. Die Kinder leben wie in einer Art Internat, jedoch sind alle Mitarbeiter für sie wie eine Art Familie. Einige Kinder wohnen dort die ganze Zeit über, weil sie Waisen sind oder aus schlechten Verhältnissen kommen. Es ist hier also niemand auf Profit aus, sondern vielmehr herrscht eine "win-win" Situation. Die meisten Lebensmittel kommen von einem Bauernhof, welcher nach dem selben Prinzip lebt und arbeitet. Auf diesem verbringen viele der Kinder auch gerne das Wochenende und man kann gar nicht so schnell schauen, wie die Kinder in den Minibussen sitzen.
Nach 4 Stunden Fahrt war ich endlich da und wurde herzlich empfangen. (Und das obwohl ich eine Haltestelle mit dem Bus zu weit gefahren bin und sie mich im nächsten Ort abholen mussten aber die Haltestelle an der ich aussteigen sollte, war nicht beleuchtet und man konnte auch sonst nichts erkennen...) In der Küche konnte ich mich aufwärmen und über die mitgebrachte Milkaschokolade wurdesich sehr gefreut.
Es gab viel zu erzählen und so gingen wir alle sehr spät ins Bett um am nächsten Morgen um 7 aufzustehen. Noch vor 6 Monaten wäre das kein Problem für mich gewesen aber jetzt schon! Ich stehe in Riga so gegen 9 auf, da meine Arbeit um 12 beginnt und Abends ist in Riga eh immer was los...
Anders in der Kalna Skola. Gegen halb 8 fand ich mich noch vor dem Frühstück (!) Kartoffeln schälend in der Küche wieder. Danach gab es erst was zu essen und nach dem Aufwasch ging es zu einem Spaziergang an die frische Luft...



Und es ist sooooo schön dort und die Sonne hat uns wirklich verwöhnt ;)
Am Nachmittag fuhren wir nach Madona und da waren wir dann Pizza essen bei einem wirklich unglaublich lieben Italiener...



Am nächsten Tag dann einen Ausflug ins süße, kleine Rezekne.



Am späten Nachmittagging es wieder nach Hause(so viel gab es da nämlich nicht zu sehen )
Da ist uns er hier begegnet, bzw. hat er sich vor uns versteckt ;)



Süß oder ?

So das war es such schon wieder von mir...es war ein super schönes Wochenende und irgendwie hatte ich das Gefühl, Zuhause zusein.
In diesem Sinne bis demnächst...und in 3 1/2 Monaten sehen wir uns wieder und zwar in natura ;)



Eure Arite :)



Mittwoch, 7. Januar 2015
Klappe die zweite
Lettland ist das Land der Lichter

Arite Broda ist 18 und ist für ein Jahr in Lettland. Für die SZ schreibt sie auf, was sie dort erlebt.
Von Arite Broda
Löbau/Riga. Der vierte Advent fängt gut an: „Ach und Montag sind wir wahrscheinlich nur zu zweit, aber wir werden das schon überleben.“ Mit diesen Worten verabschiedete mich meine Chefin in das Wochenende des vierten Advents. Ich stöhne, das kann ja was werden, 30 Kinder von fünf bis 18 Jahren und alle wollen gleichzeitig backen, kochen, basteln und den Weihnachtsbaum schmücken. Das wird ein sehr langer Tag werden.
Mit diesen Gedanken steige ich in die Straßenbahn. Es ist schon lange dunkel draußen und ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass ich heute überhaupt mal die Sonne gesehen habe. Die Bahn ruckelt los, und ich schaue aus dem Fenster. Ich sehe ganz viele beleuchtete Bäume und jeder sieht anders aus. Ich fahre in die Altstadt, schließlich muss ich noch die letzten Geschenke für meine Lieben in Deutschland besorgen. Und da ist er wieder, dieser Gedanke, bei dem ich jedes Mal die Luft anhalte: Diese Weihnachten bin ich nicht zu Hause, sondern in einer anderen Stadt, in einem anderen Land, weit weg von selbst gebackenen Plätzchen, Tannenduft und Krippenspiel. Aber ich wollte es so. Ich war der festen Überzeugung, dass diese Entscheidung die Richtige ist, und habe mir die ganze Zeit versucht selber einzureden, dass Weihnachten ohne die Familie auch schön sein kann.
Falsch gedacht! Jeder, der etwas anderes behauptet, hat entweder keine Familie oder ihm bedeutet Weihnachten nichts. Mir aber schon, nur den Letten eben nicht. Ganz klasse, ich sitze zu Weihnachten in einem Land, in dem die Leute noch nicht mal freihaben an diesen Tagen. Nach mehreren Fragen an verschiedene Einheimische haben mir alle versichert, dass es ein Fest für die Familie sei und die das auch so feiern. Aber Geschenke gibt es erst zu Neujahr und das größte aller Feste sei ja überhaupt Mittsommer!
Das erklärt so einiges. Die vielen deutschen Lieder, nur eben mit lettischem Text, keine Weihnachtsmänner, die seit dem 1. September in den Regalen der Supermärkte stehen und keinen Nikolaus. Natürlich bereiten sich die lettischen Christen auch auf das Weihnachtsfest vor, mit Andachten und Aufrufen zu Nächstenliebe. Aber das kommt einem alles so halbherzig vor. Irgendetwas fehlt, aber Lichter sind es auf keinen Fall.
Wenn es nach mir ginge, dann sollte man Lettland nicht als Volk der Chöre, sondern als Volk der Lichter bezeichnen. Aber nicht, dass jetzt einer denkt, dass hier mit billigen Lichterketten lustlos ein paar Bäume behangen wurden. Nein, mit tollen Ideen und sehr großem Aufwand und nicht nur ein Baum, sondern ganze Straßen! Da bleibt man gerne stehen und schaut sich das Ganze länger an. Dafür lohnt es sich, Weihnachten in Riga zu bleiben.
Auch meine Kinder im Center sind schon aufgeregt wegen Weihnachten, denn natürlich freut sich auch hier jedes Kind auf Geschenke. Ziemassvetku veciti – das heißt Weihnachtsmann auf Lettisch und ist im Grunde nur eine Übersetzung für das russische Ded Moros, also Väterchen Frost. Und an den werden, wie bei uns auch, Briefe geschrieben mit geheimen Wünschen. Es werden Gedichte und Lieder gelernt, um ihn zu beeindrucken, wenn er dann kommt.
Ein paar Kindern konnte ich sogar ein kurzes deutsches Gedicht beibringen. Sie haben sich alle köstlich amüsiert, besonders als ich dann die Worte „artig“ und „Rute“ erklären durfte. Einen Vorteil hat es aber, mein Russisch war noch nie so gut und es wird jeden Tag besser. Kinder sind hervorragende Lehrer und ein paar bringen mir sogar ein bisschen Lettisch bei.
Meine Arbeit macht mir Spaß, auch wenn sie mitunter sehr anstrengend ist. Diese Kinder sind einfach wundervoll, und ich genieße jeden Tag mit ihnen, denn es gibt nichts Schöneres als ihr Lachen und ihre stürmischen Umarmungen. Und daran muss man sich eben einfach erinnern, wenn sie das nächste Mal so tun, als ob sie einen nicht verstanden haben oder die Zunge rausstecken und wegrennen.
Auf meinen Wunschzettel habe ich jedenfalls geschrieben, dass ich es toll fände, Weihnachten Zuhause zu sein und vielleicht erfüllt mir ja einer von den drei Kandidaten meinen Wunsch? Mir ist es egal, ob es Ziemassvetku veciti, Ded Moros oder der Weihnachtsmann ist – ich wäre ihm sehr dankbar.
Wer noch mehr wissen will, von meinen Abenteuern, die ich hier erlebe oder auch etwas zu meiner Arbeit, der kann meinen Blog besuchen:
www.lettlandabenteuer.blogger.de
Arite Broda ist 18 Jahre alt und berichte für die SZ von ihrem Diakonischen Jahr in Riga. Insgesamt ist sie zehn Monate in Lettland. Davon sind inzwischen schon fast vier Monate vergangen.

Dieser Artikel erschien diese Woche in der Sächsischen Zeitung....
Und das tolle ist, mein Wunsch ist in Erfüllung gegangen und ich konnte Weihnachten mit meiner Familie feiern.
Danke lieber Weihnachtsmann !! ;)