Klappe die dritte
Mein Name ist Arite Broda, ich bin 19 Jahre alt und berichte für die SZ von meinem Diakonischen Jahr im Ausland hier in Riga. In meinem letzten Artikel habe ich über die Vorweihnachtszeit in Lettland geschrieben, nun folgt ein Artikel über meine Erfahrungen und Erlebnisse in den letzten Monaten.
„Sitz mal kurz still, ich will dich malen“, so fordert mich ein kleines Mädchen aus dem Kindercenter auf. Ich sitze also ganz still und sie schaut mir ganz tief in die Augen, um dann festzulegen, dass ich grüne Augen habe. Mit Tusche wird mein Profil aufs Papier gebracht und gekonnt malt sie noch ein paar Blumen auf das Blatt, schließlich bin ich ja auf dem Weg nach Hause. „Das bist du im Frühling“ sagt Wlada und überreicht mir stolz ihr Kunstwerk.
Und sie hat völlig recht, denn Riga ist in den letzten Tagen aus seinem Winterschlaf erwacht und die Sonne lacht einem ins Gesicht. Ich erkenne die Stadt wieder, welche mich im September so herzlich empfangen hat. Die Straßen sind voller Touristen und Studenten, in den Bars und Kneipen kommt man sich nicht mehr so verloren vor und die ersten Lokale stellen draußen sogar schon Tische und Bänke auf. Alles in allem kann man sich so richtig wohl fühlen in der Stadt.
Vor ein paar Wochen waren hier in Lettland Frühlingsferien und da haben wir mit unserem Kindercenter jeden Tag ganz tolle Ausflüge unternommen. So waren wir zum Beispiel im Botanischen Garten, auf der Bowlingbahn oder auch im Kino. Für viele Kinder war es das erste Mal, dass sie so etwas gemacht haben, da ihre Familien sich solch einen Luxus nicht leisten können. Es war eine sehr anstrengende Woche aber auch eine Zeit mit wunderschönen Erlebnissen und die Sonne hat die gesamten fünf Tage fleißig gestrahlt.
Nach dieser anstrengenden Woche musste natürlich ein bisschen Erholung her und so habe ich ein paar andere Freiwillige in einer alternativen Schule im Osten Lettlands besucht. Hier durfte ich neue Eindrücke sammeln und hab sogar ein bisschen Heimweh bekommen, da die Schule zwischen Feldern und Wiesen liegt, fast wie Zuhause. Ich konnte seit langer Zeit mal wieder einen wunderschönen Sonnenuntergang sehen, was in Riga so gut wie nie der Fall ist.
Zurück in der Stadt, hatte mich die Arbeit wieder und mir sind einige wirklich lustige Geschichten passiert.
Ich sollte einem kleinen Jungen bei den Mathehausaufgaben helfen und als ich ihm sagte, dass sein Ergebnis bei der einen Aufgabe falsch ist, sagte er mir: „Das glaub ich dir nicht, weil du ja aus Deutschland bist und die rechnen da ganz anders!“ Ich bin wirklich selten sprachlos aber dieser kleine Junge hatte es geschafft. Zugegeben, alle die mich kennen wissen, dass Mathe jetzt nicht unbedingt zu meinen Lieblingsfächern gehört hat aber Grundrechenaufgaben aus der 3. Klasse schaffe ich grade noch so! Ich hab ihm das dann erst auf dem Papier und dann auf meinem Handy vorgerechnet aber da meinte er dann, und ich zitiere: „Ist ja klar, dass das Handy das anzeigt, ist ja auch ein deutsches!“ Was soll man da bitte noch sagen?? Nicht einmal die anderen Mitarbeiter konnten ihn davon überzeugen, dass 57+42 auch in Deutschland und selbst in China, ja auf der ganzen Welt, 99 ergibt. Kinder, also echt die sind immer für eine Überraschung gut.
Auch seine kleine Schwester war unglaublich süß. Ich habe mit ihr gespielt und sie hat die ganze Zeit auf Lettisch erzählt und irgendwann kam eine Frage an mich und da musste ich ihr leider beichten, dass ich nur ein ganz kleines bisschen Lettisch spreche und sie nicht verstanden habe. Da hat sie mich mit großen Kinderaugen angeschaut und ganz ernsthaft gefragt: „Kannst du mich da überhaupt hören?“ Der Vater der Vierjährigen saß neben uns und hat es mir freundlicher Weise übersetzt aber er musste auch lachen. Er hat ihr dann erklärt, dass hören und verstehen was völlig verschiedenes ist. Wir hatten trotzdem eine Menge Spaß und das auch ohne mit einander zu sprechen.
Kinder sind noch nicht so verklemmt und eingeengt in ihrem Sichtfeld, wie die Erwachsenen. Die nehmen dich auch einfach mal an der Hand und zeigen dir, was sie von dir wollen. Ich habe mit den Kindern weniger Kommunikationsprobleme, als mit den Mitarbeitern, von denen auch nur zwei wirklich englisch sprechen und verstehen. Andersherum habe ich auch gelernt, den Kindern einfach zu zeigen, was ich will. Das funktioniert natürlich nicht immer, denn wie wir alle wissen, können Kinder auch unglaublich überzeugend weghören und wegsehen, wenn sie etwas nicht wollen.
Meine Zeit hier in diesem kleinen Land neigt sich nun so langsam dem Ende zu. Im Moment bin ich hin und her gerissen zwischen den ganzen Plänen nach diesem Jahr und dem Aufenthalt jetzt. Das ist nicht ganz einfach zu verstehen, denn ich will ja jeden Augenblick hier genießen und zwar in vollen Zügen. Ich freue mich aber auch schon riesig auf Zuhause und darauf meine Freunde und Familie endlich wieder in den Arm zu nehmen und Geburtstage und andere Feiern wieder live mitzuerleben. Das Internet macht vieles möglich und Skype ist eines der besten Dinge überhaupt, wenn man von seinen Lieben getrennt ist aber es macht auch vieles schwerer. Leider ist die Technik noch nicht soweit, dass man sich mal schnell für ein paar Stunden nach Hause beamen kann, man kann lediglich in die Kamera lächeln und hoffen, dass den anderen die feuchten Augen nicht auffallen.
Trotz allem Heimweh und Ärger, genauso wie die Probleme oder schwachen Momente, welchen man natürlich auch hier hat, bereue ich meine Entscheidung nicht eine Sekunde. Die Zeit hier hat mir so viele schöne Erlebnisse, neue Freunde und tolle Gespräche gebracht, dass man alles andere gerne dafür in Kauf nimmt. Der Mensch wächst ja schließlich an seinen Aufgaben und ich mache heute manche Sachen mit einer Selbstverständlichkeit, die ich noch vor einem Jahr nicht für möglich gehalten hätte. Wer also auch Lust auf ein Abenteuer hat, hier die Adresse der Evangelischen Freiwilligendienst: www.djia.de und noch mehr Berichte über meine Erlebnisse in Lettland unter www.lettlandabenteuer.blogger.de.


Vlada und ich beim Ostereiermalen

Dieser Artikel erschien letzte Woche in der Sächsischen Zeitung. Hier die ungekürzte Fassung ;)